Arkadienweg: Schloss Fantaisie – Salamandertal – Oberwaiz
Den kompletten Verlauf des Jean-Paul-Wegs finden Sie hier: Literaturportal Bayern
Weitere Informationen über Jean Paul und Bayreuth: Literaturportal Bayern – Dichterwege. Auf den Spuren von Jean Paul
Arkadien pur!
Sonntag, 15. Oktober 2017. Ja, erst fünf Jahre später konnten wir diese Etappe erwandern. Doch es fühlt sich an, als hätten wir die Wanderung nie unterbrochen. Im Gegenteil – es ist derselbe goldene Herbst wie im Jahr 2012. Und heute ist ein wahrhaft arkadischer Tag. Die Sonne verschüttet ihr Gold, ohne nachzusehen, wie viel noch da ist. Es soll warm werden – über 25 Grad – heißt es.
Wir freuen uns so. Wir fahren von Ronneburg nach Bayreuth und genießen erneut die Aussicht vom Bindlacher Berg auf das Städtchen im güldenen Tal. Während der Fahrt erhasche ich aus dem Autofenster zwar nur ein flüchtiges Bild, das aber auf seine Weise doch eine Verheißung erahnen lässt.
Dann, noch vorbei am Gut Geigenreuth, erreichen wir wieder den wunderschönen Talweg zum Schloss Fantaisie. Leider müssen wir den Spazierweg mit dem Auto zurücklegen, denn Peter wird später noch viel laufen müssen – durch den Schlosspark und das Salamandertal. Deshalb fahren wir so viel Strecke wie möglich – wir müssen ja Fotos machen, wenigstens. Aber mit dem Auto stören wir, denn heute sind wirklich alle unterwegs. Ob zu Fuß, mit dem Rad, mit Rollern oder Skates, mit Hund und Kind und Kegel. Wir fahren ganz langsam, halten immer wieder an. Doch die Menschen sind nicht verärgert. Sie winken uns lachend zu, und wir winken lachend zurück.
»Was ist denn heute los?«, frage ich Peter.
Noch bevor wir den Schlosspark betreten und das Schloss sehen können, finden wir unten im Tal die Groß- und Sonderstation 133 »Jean Paul und die Fantaisie (1)«, nahe dem Sportplatz des TSV Donndorf-Eckersdorf.
Jean Paul und die Fantaisie (1)
Die Schloss-Besitzer
1758 Beginn des Schlossbaues unter Markgraf Friedrich und Markgräfin Wilhelmine
(Pläne von Architekt Carl Philipp Christian von Gontard, nach Vorbild der florentinischen Villa Doria Pamphilj auf Grund der Italienreise des Markgrafenpaares)
1763 Herzogin Elisabeth Friederike Sophie von Württemberg (sie galt als die schönste aller
deutschen Prinzessinnen), Tochter der Markgräfin Wilhelmine, übernimmt den Besitz von von Markgraf Friedrich Christian. (Sie war mit dem despotischen
Herzog Karl Eugen von Württemberg verheiratet, jener Herzog, vor dem Schiller fliehen musste. Auch die grauenvolle Hinrichtung des Joseph Süß Oppenheimer/Jud Süß fand
kurz vor dem Regierungsantritt des Herzogs statt.)
1765 Die Herzogin zieht in das nun fertig gebaute Schloss ein, in dem sie bis 1780 lebt.
1780‒1791 Markgraf Alexander von Ansbach
1791‒1793 Preußischer Staat (Verwalter ist der Oberforstmeister Traugott Friedrich von Obernitz)
1793‒1795 Herzogin Friederike Dorothee Sophie und Herzog Friedrich Eugen von Württemberg
1795‒1833 Herzog Alexander I. von Württemberg
1833‒1881 Herzog Alexander II. von Württemberg
1882‒1895 Konsortium Feustel, Schwabacher, Eysser
1895‒1897 Ernst Hüttenrott, preußischer Forstassessor
1898‒1908 Martin de Cuvry, Oberleutnant aus Bonn
1908‒1928 Familie Schmidt-Oertel
1929‒1937 Fürst Edmund von Wrede
1937‒1945 Nationalsozialistischer Lehrerbund
1945‒1948 US-Regierung (Sanatorium der US-Armee)
1948‒1961 Bayerisches Rotes Kreuz (Lungenheilanstalt)
seit 1961 Freistaat Bayern (mehrfach untervermietet an Firmen und andere Nutzer)
2000 Eröffnung des ersten deutschen Gartenkunstmuseums durch die Bayerische Schlösserverwaltung
Mehr unter schloss-fantaisie.de oder gartenkunst-museum.de
Weiter geht es vorbei an mehreren kleinen Teichen und schließlich erreichen wir den großen Herzog- oder Talmühlweiher. Von hier aus hat man eine herrliche Sicht auf das Schloss Fantaisie, das auf einer Anhöhe errichtet wurde.

Auf dem Weiher lebt seit Jahren ein schwarzes Trauerschwan-Paar. Wir haben schon einige ihrer Küken aufwachsen sehen. Wie viele Großeltern mögen wohl schon mit ihren Enkeln hierher spaziert sein, um das putzige Schauspiel zu betrachten?
Einmal waren wir 2011 – just am 21. März, Jean Pauls Geburtstag – im Schlosspark. Damals lebte Fidel noch. Auf der großen Wiese oberhalb des Weihers fanden wir eine vermutlich verlorene rote Frisbeescheibe. Ich dachte: Probier doch mal, ob Fidel sich für so ein Spielzeug begeistern könnte. Und ob! Peter und ich waren völlig überrascht, denn bisher hatten nur gelbe Tennisbälle Fidels Interesse geweckt. Fidel war in seinem nun rotfliegenden Pudelglück.
»Wozu ist ein Hund nütze?«, fragte einst einer unserer besten Freunde, dessen Töchter sich bei der Haustieranschaffung – in Form eines Hundes – schlussendlich durchgesetzt hatten. Diese Frage stellte er sich noch lange, besonders dann, wenn der neue Hausgenosse sich auf dem Teppich übergab oder nachts verbotenerweise – heimlich, nicht ohne Spuren zu hinterlassen – im Wohnzimmer auf dem Sofa schlief, statt in seinem Korb unter der Treppe.
Ich stelle mir diese Frage auch – nur etwas anders. Woher kommen sie eigentlich, diese Tiere, diese Aliens? Warum nur suchen sie unsere Welt? Mir scheint, als wollten sie uns irgendwie abholen, uns einladen, uns mitnehmen. »Kommt mit!« – stupsen sie uns mit ihren Nasen an. Ja, wohin denn? Wohin denn nur? Was ist denn da, wo wir hinsollen?
Der geheime Schlüssel
Tiere sind nicht da, um uns »nütze« zu sein – so, wie wir es uns gerne einbilden. Vielleicht verfolgen sie ja eine uns noch unbekannte Aufgabe? Vielleicht liegt der Sinn ihrer Existenz darin, uns in ihre Welt mitzunehmen? Und ihre Welt ist so dumm gar nicht! Überhaupt nicht schlechter, unbequemer, unfreier als unsere. Ich habe die Ahnung, sie besitzen einen geheimen Schlüssel zu einer gar besseren Welt – zu einer immerwährenden Welt.
Jean Paul und die Fantaisie
Die Fantaisie ist einer der wenigen konkreten Bayreuther Orte, die in Jean Pauls Werk namentlich genannt werden. Allein daraus ersieht man, welche Bedeutung der markgräfliche Lust- und Sommerort, das »Rosen- und Blütental«, der »erste Himmel um Bayreuth«, für den Dichter und Menschen Jean Paul einnahm. Im Roman »Siebenkäs« spielen zwei wichtige Szenen an diesem Ort. Freilich kannte der Dichter ihn noch nicht, als er ihn zum Handlungsort seines Romans machte. Im April 1796 schrieb er an seinen Bayreuther Freund Christian Otto: »Die Szene mit Natalie in der Fantaisie liegt wie eine sanfte Mondnacht vor mir und ich freue mich, wenn ich einmal in Bayreuth die Stätten besuchen werde: ich hätte in meinen andern Büchern nur auch mehr meinem Gefühle, das mir solche Szenen vergeblich rein vorhielt, mehr folgen sollen als der Sucht, ein Mosaik von böhmischen Steinen zusammenzulegen.«
Nachdem er den Park kennengelernt hatte, wurde er mit seinen Hecken-Labyrinthen, Grottennischen und Sandsteinfelsen für den leidenschaftlichen Spaziergänger Jean Paul zu einem gern besuchten, romantischen Sehnsuchtsort. Er war – über die Chaussee von Bayreuth nach Fantaisie – noch zu Fuß erreichbar. Diese Straße, schrieb J. C. Ernst von Reiche im Jahr 1795, »ist schön gepflastert, fast überall mit schattenreichen Alleen besetzet, und selbst der Wandelnde hat zu beiden Seiten bequeme Gehwege.«
Hier besuchte er zu Beginn seiner Bayreuther Zeit die Großfürstin Konstantin und hier lernte er den Prinzen Alexander I. von Württemberg kennen, der ihm noch zu Lebzeiten (1820) einen Ehrenstein setzte.
So viele Menschen sind heute im Park – so etwas habe ich in den letzten 25 Jahren nicht erlebt. Überall sitzen sie auf den alten Steinbänken, schlendern händchenhaltend durch die Laubengänge, spielen Boule auf dem Platz zwischen den Obstquartieren, treffen überraschend alte Freunde, bleiben stehen, halten ein Schwätzchen, wundern sich über die »Rasenspirale« vor dem Neptunbrunnen und öffnen fröhlich ein Piccolöchen. Japaner fotografieren unermüdlich – stets freundlich lächelnd – die wiederaufgebauten Kaskaden mit Neptun, Nixen, Rössern und Delphinen. Eine Mutter knipst stolz ihr vor Glück quieksendes Kind, das das so schön raschelnde Herbstlaub hochwirft. Andere versuchen, die unlesbaren Inschriften auf den leeren Grüften zu lesen, und ein junges »Mountainbike-Pärchen« versucht vergeblich, die krumm getretenen Steinstufen hinaufzuradeln.
Vom Wandeln und Verwandeln
Schon mein ganzes Leben lang habe ich Schlösser und ihre Parkanlagen geliebt. In meiner Jugend war das eine eher uncoole Leidenschaft, war doch alles auf Protest gepolt. Schlösser? Das hat doch was mit »Feudalismus« zu tun! Das ging damals gar nicht. Aber ich besuchte sie nun mal so gerne. Wenn der Tag grau war, oder gerade in den allerschwärzesten Zeiten, dann hat mich ein Spaziergang durch einen Schlosspark oder eine Führung durch ein Schloss immer wieder aufgerichtet.
Warum ist das so? Oft denke ich, es ist die Ordnung – nein, mehr die Geordnetheit. In Geordnetheit fühlt der Mensch sich geborgen. Und in ihr ist immer auch ein Platz für heitere Verspieltheit. Jedes geschaffene Detail passt perfekt zum anderen. Ist das nicht Liebe? Menschen können hier das gelungene Zusammenwirken aller Künste erleben. Die der Weber, der Stuckateure, der Schreiner, der Maler, der Gärtner, der Architekten. Und die vielen Schnörkel! Das allgegenwärtige Sprudeln! Eine über allem schwebende Andacht und Feierlichkeit. Das Wandeln in all dieser Erhabenheit verwandelt meine Seele.
Auch mein Vater liebte Schlösser. Vor allem das kleine Schloss Linderhof des Bayernkönigs Ludwig II. Darin hätte Papa selbst gerne gewohnt.
Die Phantasie (im Kopf)
Wie aber ist nun vom Erzieher der tragischen Übermacht der geisterrufenden Phantasie zu wehren? […] Dadurch, daß man die Phantasie selber gegen die Phantasie bewaffnet und den Geistern den Geist gegenüberstellt, dem Teufel Gott und Recht.
Jean Paul »Selberlebensbeschreibung«
Phantasie in einer Fürstin gebiert häufig fürstliche Phantasien – und Sturmlaufen gegen den Himmel – und allerlei vulkanische Produkte – und Verkalkungen der Schatzkammer und Verflüchtigen der Kron-Juwelen und sonst manches, was ich weiß. Kann eine phantastische Frau das Landes-Grün in Wiesen und Wälder zusammengezogen und verdichtet an einem Ringfinger tragen in Gestalt des größten Smaragds: sie tuts, Pomponne, bei Gott! – Ich bäte mir daher lieber gesunden Menschenverstand dafür aus, wenn ich keinen hätte. Freilich, glänzen kann man wenig mit ihm; aber desto mehr ausrichten. Letztes weiß ich gewiß; manche Fürstin, welche unter der Regierung ihres Gatten bloß als eine verständige, liebende Mutter und Gattin bescheiden dagestanden war, konnte nach seinem Tode […] den Landesvater ersetzen durch die Landesmutter und mit klarem Auge und lehrbegierigem Ohre die Fahrt des Landes richtig steuern. Phantasie und Phantasien sind auf dem Throne, um welchen wie um andere Höhen mehr Winde wehen als hinter dem Staatsschiffe, nur aufgespannte Segel im Sturm, in welchem sie gerade der Schiffer oder der Verstand einzuziehen hat.
Übrigens treibt die Phantasie in keiner Seelenbewegung – nicht einmal in der Liebe – ihre Schaff- und Herrschaft so weit als in der Furcht.
Sämtliche Zitate aus Jean Paul »Levana oder Erziehlehre«
Folgt man weiter den Jean-Paul-Wegzeichen, gelangt man vom Talweg im Park Fantaisie zum Parkausgang Richtung Salamandertal. Hier wartet die Groß- und Sonderstation 134 »Jean Paul und die Fantaisie (2)«:
Jean Paul und die Fantaisie (2)
Die Fantaisie – poetisch verklärt
Er übernachtete daher in Fantaisie,
einem artistischen Lust- und Rosen- und Blütental, eine halbe Meile von Baireuth.
»[…] Heb’ alles auf, bis wir im warmen Schoß Abrahams sitzen, in der Eremitage«;
welches nach Fantaisie der zweite Himmel um Baireuth ist,
denn Fantaisie ist der erste,
und die ganze Gegend der dritte.
Sämtliche Zitate aus Jean Paul »Siebenkäs«
Um 12 Uhr sank ich in Fantaisie bei Baireuth zum Essen nieder.
Blühendes, tönendes, schattendes Tal! –
Wiege der Frühlingsträume! Geisterinsel des Mondlichts!
Und deine Eltern, die Berge, die in dich hereinblicken, sind so reizend wie ihr Kind in seinem Kranz.
Fort von der Lust zu der Lust!
Jean Paul »Des Luftschiffers Giannozzo Seebuch«
»Da geht er nach der Fantaisie, legt sich unter den Schatten eines großen Baumes,
läßt sich kalten Braten und Butterbrot geben und fängt dann an zu schreiben.
Abends geht er zurück.«
Friedrich Meier über Jean Paul (1809)
»Unter den hiesigen Sehenswürdigkeiten rühmte er mir vorzüglich die Fantaisie und die Eremitage.«
Karl Bursy (1816)

Als Jean Paul die Fantaisie besuchte, wohnte sozusagen gerade Herzog Alexander I. von Württemberg im Schloss. Er lud Jean Paul gerne zu sich ein – und Jean Paul liebte es zu kommen. Wer genau dieser Herzog Alexander I. war, erklärt uns nun die Groß- und Sonderstation 134 am Talweg des Parks.
Verwandt mit höchstem Adel
Alexander I. (1771‒1833) war der Sohn des späteren Herzogs Friedrich Eugen von Württemberg, der 1793 bis 1795 als Generalgouverneur von Brandenburg-Ansbach und Brandenburg-Bayreuth im Neuen Schloss zu Bayreuth lebte. Über seine Mutter Friederike Dorothee Sophie von Brandenburg-Schwedt, die den Park Fantaisie sentimental ausgebaut hatte, war er mit dem preußischen Königshaus verwandt. Alexander war also der Großneffe Friedrichs II. und Wilhelmines von Bayreuth, von deren Tochter Herzogin Elisabeth Friederike Sophie von Württemberg das Schloss einst fertiggestellt worden war.
Der Herr der Fantaisie war mit den höchsten Adelskreisen seiner Zeit verwandt: Seine Schwester Sophie Dorothee war russische Zarin, ihre Kinder Alexander I. und Nikolaus I. wurden Zaren. Alexander war also der Onkel zweier russischer Herrscher. Sein Bruder Friedrich war König von Württemberg, aber noch die heutigen Chefs des Hauses Württemberg stammen aus der »herzoglichen Linie«, die von Herzog Alexander begründet wurde. Er selbst war – über seine Gemahlin Antoinette von Sachsen-Coburg-Saalfeld – auch mit dem Hause Coburg-Gotha verbunden, damit auch direkt mit dem belgischen König Leopold I. und der britischen Königin Viktoria.
Alexander ging als russischer Beamter und General in die Geschichte ein. 1799 trat er in die russische Armee ein. Nachdem er 1811 zum Gouverneur von Weißrussland ernannt worden war, kämpfte er 1812/13 als russischer General gegen Napoleon. Nach dem Krieg leitete er, wieder als Gouverneur von Weißrussland, seit 1822 das russische Verkehrsministerium.
Er starb 1833 in Gotha und wurde auch dort beerdigt.
Ein Gedenkstein für Jean Paul
Nachdem Friederike Dorothee Sophie 1795 zum Regierungsantritt ihres Mannes Friedrich Eugen an den Stuttgarter Hof zurückgekehrt war, nutzte ihr Sohn Alexander I. von Württemberg Schloss und Park Fantaisie als Sommersitz.
Die Anlage wurde vernachlässigt, da der Herzog seit 1806 in russischen Diensten an den napoleonischen Kriegen aktiv teilnahm. Nach Ende dieser welthistorischen Auseinandersetzungen konnte er sich wieder intensiver um die Fantaisie kümmern.
1819 lernte er hier Jean Paul kennen und schätzen. Jean Paul schrieb einige Zeit später: »Der Herzog Alexander aus Russland (er war General in russischen Diensten gewesen) […] gibt mir in hiesiger Fantaisie fast tägliche Stelldichein der Liebe, sogar eine Lobschrift auf mich ließ er in einen dortigen Felsen hauen, für mich eine aufrechte Grabplatte.«
Dies war nicht die erste Begegnung Jean Pauls mit dem Hochadel in Fantaisie. Schon zu Beginn seiner Bayreuther Zeit pflegte er den Kontakt mit der »schönen kindlich-kräftigen Großfürstin« Konstantin und ihrer Hofdame Charlotte von Schlammersdorf.
Der Jean-Paul-Stein jedenfalls steht heute noch an seinem Platz, an dem breiten Weg vom Herzogweiher hinauf zum Hotel Fantaisie (und zum Schloss). Die Inschrift lautet:
»Jean Paul!
Dem sinnigen und erhabenen Dichter;
Deutschlands vorzüglichstem Musensohne,
dem Freunde der Natur und Kunst,
Deutschlands Zierde, Deutschlands Stolz.«
Doch jetzt heißt es, sich langsam vom Schlosspark Fantaisie loszureißen und dem Jean-Paul-Weg weiter zu folgen. Dazu verlässt man den Park und gelangt von dieser Seite aus – quasi von hinten – zum Örtchen Eckersdorf. Von hier unten hat man einen Blick auf die evangelisch-lutherische Kirche St. Ägidius, die wie eine Burg auf einem Felssporn thront – genau an jener Stelle, wo die beiden Räthschluchten des Salamandertales und des Lüchauentales aufeinandertreffen und steil abfallen. Ein neuer, idyllischer Abschnitt des Jean-Paul-Weges erwartet uns.
Nachdem man auf schmalen Gassen an ein paar Gärten vorbeigewandert ist, tritt man in das Salamandertal ein.
Doch nur für ein kurzes Stück, dann steigt man wieder einige Stufen hinauf und gelangt auf eine Dorfstraße. Oben, am Ende der Treppe, warten bereits zwei Katzen auf uns – jedenfalls sieht es so aus.
Und da ist es wieder, dieses Phänomen: Zwei Wesen aus einer anderen Welt halten Ausschau nach uns, als wollten sie uns begrüßen und fragen, wo wir denn so lange geblieben seien. Wie zwei Sphinxen vor einer Pforte sitzen sie da. Doch wohin führt diese Pforte? Was wissen die Tiere über den Ort dahinter? Wir können sie nicht fragen.
Natürlich möchten wir stattdessen die beiden Miezen streicheln, haben aber Sorge, sie könnten gleich davonlaufen. Also gehen wir still an ihnen vorbei – wir wollen sie an diesem herrlichen Sonntag nicht vertreiben.
Wir fragen uns, ob das nun schon das schöne Salamandertal gewesen sein soll. Das wäre ein bisschen kurz. Auch neue Stationstafeln haben wir keine entdeckt. Also laufen wir weiter, wieder vorbei an Gartenzäunen und Garageneinfahrten, irren ein wenig umher. Ich spreche einen Passanten an und frage, ob er weiß, wo der Jean-Paul-Weg weiterführt oder ob er irgendwo grüne Tafeln mit Texten gesehen hat. Fast gehe ich davon aus, dass »Jean Paul« den meisten Menschen nichts sagt. Doch – oh Wunder! – er weiß, wovon ich spreche. Natürlich kenne er Jean Paul, und auch den Weg.
»Sie sind hier richtig!«, sagt er noch.
Tatsächlich – es dauert nicht lange, da entdecken wir die nächste grüne Tafel. Es ist Stationstafel 135. Ab hier beginnt auch ein weiterer Abschnitt des Salamandertals. Rechts plätschert der Mühlbach, links ragen ein paar Felsen in die Höhe. Bäume halten sich an ihnen fest. Das Tal verdankt seinen Namen den Feuersalamandern, die man hier bei feuchtem Wetter beobachten kann – wenn man Glück hat.
Der Fremde als Bruder
Überhaupt ist jeder Mensch heimlich seine eigne Kopiermaschine, die er an andere ansetzt, und wenn er gern alles in seine geistliche und geistige Verwandtschaft als Seelen-Vettern hineinzieht.
Bringe nur deinem Kinde das fremde Leben und Ich lebendig genug vor das seinige, so wird er es lieben.
Das Erregungsmittel besteht in Versetzung in fremdes Leben – und in Achtung für Leben überhaupt.
Um zur Wahrheit zu gelangen, sollte jeder die Meinung seines Gegners zu verteidigen suchen.
Nicht der äußere Mensch, aber der innere hat Spiegel nötig.
Man kann sich nicht anders ganz sehen als im Auge des fremden Sehers.
Einzelwesen, ja Völker, sterben oft, ohne je sich an eine andere Stelle gedacht zu haben als an die ihrige.
Was für ein entzückendes Tal! Wir sind überrascht. Jahrelang – ja, jahrzehntelang – sind wir oben auf der B22 von Hollfeld nach Bayreuth gefahren, durch Eckersdorf, dann durch Donndorf, haben im Vorbeifahren stets einen Blick auf Schloss Fantaisie und den Park erhascht – aber keine Ahnung gehabt, dass sich, ein wenig abseits der Bundesstraße und doch mitten im Ort, ein so romantischer Weg unten durch ein kleines Tal schlängelt.
Peter muss ich bei Stationstafel 135 auf einer Bank zurücklassen und hoffe, dass er mir nicht verloren geht. Jetzt werde ich alleine weiterlaufen – durch das gesamte Tal, vorbei an der nächsten Stationstafel, vorbei an bemoosten Felsen und über kleine, rutschige Holzstege. Radfahrer halten an und lassen mich auf dem schmalen Pfad sicher vorbeigehen. Die Sonne steht schon tief und glitzert zwischen den Zweigen. Fast scheint es, als beginne erster Nebel, im kühlen Grund aufzusteigen.
Mitten im Tal finde ich Stationstafel 136.
Krieg dem Kriege
Das Unglück der Erde war bisher, daß zwei den Krieg beschlossen und Millionen ihn ausführten und ausstanden, indes es besser, wenn auch nicht gut gewesen wäre, daß Millionen beschlossen hätten, und zwei gestritten.
Der Krieg kommt endlich selbst am Kriege um; seine Vervollkommnung wird seine Vernichtung.
Das Gute wächst auf den Jahrhunderten, das Böse auf dem Augenblick; jenes lebt von der Zeit, dieses stirbst an ihr.
Sämtliche Zitate aus Jean Paul »Dämmerungen für Deutschland«
[…] nur der herbste, zäheste Barbarismus der Vorzeit, der Krieg, bleibt noch dem uns angebornen Antibarbarus zuletzt zu überwinden übrig.
Jean Paul »Levana oder Erziehlehre«
Ich erkunde den gesamten Weg bis ans Ende des Tals, wo man über Stufen – durch den Privatgarten eines Anwohners – hinaufsteigen muss, und plötzlich steht man wieder auf einer der engen Dorfgassen. Von hier erkenne ich schon aus der Ferne, dass der Weg bald wieder durch offene Landschaft führen wird – unter Bäumen hindurch, an Feldern vorbei. Mit diesem Wissen kehre ich zu Peter zurück.
Er sitzt immer noch auf der Bank im Salamandertal und hält nach mir Ausschau. Die heutige Etappe von Schloss Fantaisie bis zum Dorf Oberwaiz ist also für uns also bisschen wie eine Schnitzeljagd – von Stationstafel zu Stationstafel, ohne eigentliche Wanderung.
Jetzt fahren wir mit dem Auto zum Ortsausgang von Eckersdorf und suchen Stationstafel 137. Noch einmal fragen wir Passanten nach den grünen Tafeln. Auch hier kennt man sie – und auch Jean Paul. Und wieder freuen wir uns. Wir freuen uns so, als wäre Jean Paul unser Bruder. Wir sind stolz darauf, dass sein Weg bekannt ist.
Unsere arme Erdkugel
Auch macht ja die Erde jetzo überall Härt-Anstalten des Gefühls, nämlich Kriege. Wie kalt geht man in der Geschichte über die unzähligen Schlachtfelder, welche die Erde mit Todes-Beeten umziehen!
Wenn der Krieg seinen Ameisen- oder Maulwurfspflug auf unsrer Kugel einsetzt und mit einer Pflugschar, welche Länder durchschneidet, die aufgeworfnen Ameisen-Hügel, die man Städte nennt, aushebt, umstürzt und zerreibt: Fallen denn nicht alle aufgehobnen Hämmer des Hammerwerks der Kriegsmaschine immer nur auf einzelne Herzen herunter, jeder Hammer auf seines?
So wenig geht bisher der Mensch noch den Menschen an; er sieht noch nicht, daß jeder Erdenkrieg ein Bürgerkrieg ist.
Die ganze Erde muss einmal ein einziger Staat werden, eine Universalrepublik.
Die Erde ist das Mutterland der Vaterländer.
Ich gehe sogar noch weiter: Es muss werden wie bei »Raumschiff Enterprise« – oder »Star Trek«, wie die US-Serie im Original heißt. Die Führungsoffiziere und Besatzungsmitglieder des Raumschiffs gehören zur »Vereinten Föderation der Planeten«, einer im 22. Jahrhundert gegründeten und von der Erde aus regierten Allianz verschiedener Völker der Milchstraße.
Dabei unterscheiden sich diese Völker im Star-Trek-Universum ganz erheblich – in Hautfarbe, Gestalt, Geschlecht, Temperament, Gedankenwelt, politischen wie ethischen Überzeugungen. Und? Stört keinen. Sie arbeiten auf erstaunliche Weise zusammen, denn es geht immer darum, die Rechte aller Wesen zu wahren und zu verteidigen. Aller Wesen! Sonst geht’s ja nicht.
Die politische Welt von oben
Ich sage immer zu Peter, wenn wir über Weltpolitik sprechen, dass erst dann, wenn die Rechte weltweit für jeden gleich gelten, es vielleicht einmal Ruhe geben wird. Gleiche Löhne und gleiche Steuern für alle – die dann auch gezahlt werden. Dann ziehen die Konzerne vielleicht nicht mehr in Horden um den Planeten. Die Erde, das Land, die Bodenschätze, die Elemente Wasser, Luft, Erde und Energie (Feuer) gehören entweder allen – oder keinem.
Das hat Jean Paul auch schon gewusst. Da gab es noch gar kein »Star Trek«. Auch keine Bilder vom blauen Planeten aus dem All. Aber es ist ja auch nix Schlaues. Alle wissen das. Ab und zu sagt es mal einer laut, wie Jesus zum Beispiel. Der beantwortete übrigens die immer wieder diskutierte Friedensfrage schon vor 2000 Jahren mit den Worten: Liebe deinen Nächsten wie dich selbst! Aber laut »Star Trek« dürfen wir bis zum 22. Jahrhundert kaum mit so einer intelligenten Lösung rechnen.
Peter sagt immer: »Die Demokratie ist eine Kugel – so wie unsere Erde. Auf einer Kugeloberfläche gibt es kein Oben und Unten, keine Mitte und keinen Rand. Aber der Mittelstand tut immer noch so, als wäre die Erde eine Scheibe – mit Mitte und Rand. Die in der Mitte sind sicher, die am Rand fallen runter.«
Nicht weit von Stationstafel 137, vor dem Sport- und Tennisplatz von Donndorf/Eckersdorf, und noch in Sichtweite der Grund- und Mittelschule von Eckersdorf, finden wir die Groß- und Sonderstation 138 über »Jean Paul und die Kinder«.
Jean Paul und die Kinder
Jean Paul als Kind ...
Da die uferlose Tätigkeit unseres Helden sich mehr auf geistige als auf körperliche Spiele warf – die er aber alle mit unsäglicher Wollust trieb –: so erfand er auch statt neuer Sprachen neue Buchstaben. Er nahm geradezu die Kalenderzeichen – oder geometrische aus einem alten Buche – oder chemische – oder neueste aus seinem Kopfe und setzte daraus ein ganz neues Alphabet zusammen. Hatt’ er es fertig: so war sein Erstes, daß er selber von seinem alphabetischen Solitär Gebrauch machte und eine oder ein Paar Seiten voll abgeschriebener Materien darein kleidete.
Eine an sich bedeutende Lustbarkeit innerhalb des Hofes […] bestand darin, daß er in der Scheune auf einer Leiter einen freiliegenden Balken bestieg und von ihm auf das zwei Stockwerk tief gelegte Heu hinuntersprang, um unterwegs das Fliegen zu genießen.
Sämtliche Zitate aus Jean Paul »Selberlebensbeschreibung«
[…] da bauete er sich mit der Schwester in den Heuschober ein und fuhr auf dem architektonisch gewölbten Heu-Gebirge des Wagens heim
[…].
Jean Paul »Leben des vergnügten Schulmeisterlein Maria Wutz in Auenthal«
... und Jean Paul als Vater
»Als wir ganz klein waren, bewohnten wir zwei Stockwerke eines Hauses, der Vater arbeitete oben in den Mansarden. Wir Kinder krabbelten nun morgens mit Händen und Füßen die Treppen hinauf und hämmerten an der schließenden Falltüre, bis der Vater sie aufhob und nach unserm Einlaß sie wieder schloß und dann von einem alten Schrank eine bereits durchlöcherte Trommel herunternahm und eine Pfeife, mit denen wir stark musizierten, während er drinnen schrieb. Dann durften wir auch hinein zu ihm und mit dem Eichhörnchen spielen, das er abends in seiner Tasche in die Harmonie nahm.«
Erinnerungen der Tochter Emma
Kinderspiele zwischen Mensch und Tier
Denn es gibt zweierlei Kinderspiele, kindische und ernsthafte – die ernsthaften sind Nachahmungen der Erwachsenen, das Kaufmann-, Soldaten-, Handwerker-Spielen – die kindischen sind Nachäffungen der Tiere. Wutz war beim Spielen nie etwas anderes als ein Hase, eine Turteltaube oder das Junge derselben, ein Bär, ein Pferd oder gar der Wagen daran. Glaubt mir! ein Seraph findet auch in unsern Kollegien und Hörsälen keine Geschäfte, sondern nur Spiele und, wenn ers hoch treibt, jene zweierlei Spiele.
Jean Paul »Leben des vergnügten Schulmeisterlein Maria Wutz in Auenthal«
Sein Kunstgriff nämlich, sich auf dem Lande den Hering zu ersetzen in solcher Ferne von der Küste, bestand darin, daß er, wenn er Semmel holen mußte, in den Bach watete und leise einen Stein aufhob, worunter eine Grundel oder ein noch kleineres Fischchen zu fangen war. Diese tat er in einen ausgehöhlten Krautstrunk (er stellte eine Heringtonne vor) und salzte sie gehörig ein und so hätt’ er, sobald das Tönnchen voll war, Heringe zu essen gehabt, wenn nicht alles gestunken hätte.
Jean Paul »Selberlebensbeschreibung«
Riesen-Eltern, Klein-Eltern und Kinder
Die Eltern haben ein leichtes, reines Mittel, den Kindern zugleich sehr zu predigen, zu erzählen und wohlzutun, nämlich durch Erzählung ihres Kindheit-Lebens unter den eigenen Eltern. Schon an und für sich ist dem Kinde, dem Kleinen, das Kleine das Liebste, und sie baten den Verfasser zuweilen um ein kleines Meer, einen kleinen lieben Gott. Tritt ihnen nun vollends Vater oder Mutter von den hohen Wuchsstufen auf ihre herab, so können sie es kaum begreifen, dass Eltern sonst Kinder gewesen, und sehen lern-durstig in dem Verkleiner-Spiegel ihre jetzigen Riesen-Eltern sich nur als Kinder bewegen. Groß-Eltern befehlen nun den Klein-Eltern, und Menschen gehorchen, denen das Kind zu gehorchen hat. Hier findet dieses in der Erzählung nur jetzige Fortsetzung des vorigen Rechts; und keine Willkür; – hier findet es, dass der Vater nur jetzo befehle, was er sonst als Kind befolgte; – und daß er seinen Eltern recht viel Liebe zuwandte und abgewann, denen sich wieder der Enkel desto wärmer aus Nachliebe und Freiheit an die Brust wirft.
Wie Kinder alles Verkleinerte und als ihnen Ähnliches lieben: so hören sie es gern, wenn ihr Vater ihnen seine Kindheitsgestalt vormalt und sich zu ihrem Maße herab verkleinert. In dieser Verkleinerungseinkleidung kann er allen Lehren, die ihm sein Vater gab, und alle guten Beispiele legen, die er selber gab. Nur behalte sich der erzählende Vater ein kleines Übergewicht über seine Brüder vor, um den Kindern in aller Größe zu erscheinen.
Sämtliche Zitate aus Jean Paul »Levana oder Erziehlehre«
Weiter geht es über die B22, zunächst durch das nördliche Siedlungsgebiet von Eckersdorf, und dann hinaus über die Felder in Richtung Oberwaiz.
Noch immer sind viele Menschen unterwegs. Ich freue mich auf das letzte Stückchen über die Höhe. Es ist, als würde man der Sonne entgegenlaufen. So viel Licht! Man möchte sich darin baden. Peter muss leider im Auto warten. Sein Fuß schmerzt jetzt richtig. Für ihn war es heute schon zu viel. Bald erreiche ich Stationstafel 139. Eine kleine Bank hat sich zu ihr gesetzt.
Glück im Winkel
[…] wenn er sich in den gedachten beiden Abendstunden erinnerte, was er im Kindheit-Dezember vornahm; […], wie er sonst abends sich aufs
Zuketten der Fensterläden freuete, weil er nun ganz gesichert vor allem in der lichten Stube hockte, daher er nicht gerne lange in die von abspiegelnden Fensterscheiben über die Läden
hinausgelagerte Stube hineinsah; wie er und seine Geschwister die abendliche Kocherei der Mutter ausspionierten, unterstützten und unterbrachen, und wie er und sie mit zugedrückten Augen und
zwischen den Brustwehr-Schenkeln des Vaters auf das Blenden des kommenden Talglichts sich spitzten, und wie sie in dem aus dem unabsehlichen Gewölbe des Universums herausgeschnittenen oder
hineingebauten Closet ihrer Stube so beschirmt waren, so warm, so satt, so wohl ....
Jean Paul »Leben des vergnügten Schulmeisterlein Maria Wutz in Auenthal«
Mit einem guten Freund des Abends auf dieser Bank zu sitzen, voll stiller Zuneigung, umgeben von Wesentlichem und einem zufriedenen, langsamen Abschied – beschienen von der Sonne eines nie versiegenden Glücks. Was für ein Ende wäre das!
Gar nicht mehr weit erkenne ich Stationstafel 140. Sie ist das Ziel unserer heutigen Etappe.
Glück im Alltag
[…] den ganzen Tag freuete er sich auf oder über etwas. »Vor dem Aufstehen«, sagt’ er, »freu’ ich mich auf das Frühstück, den ganzen Vormittag aufs Mittagessen, zur Vesperzeit aufs Vesperbrot und abends aufs Nachtbrot – und so hat der Alumnus Wutz sich stets auf was zu spitzen.« Trank er tief, so sagt’ er: »Das hat meinem Wutz geschmeckt« und strich sich den Magen. Niesete er, so sagte er: »Helf dir Gott, Wutz!« – Im fieberfrostigen Novemberwetter letzte er sich auf der Gasse mit der Vormalung des warmen Ofens und mit der närrischen Freude, daß er eine Hand um die andre unter seinem Mantel wie zu Hause stecken hatte. War der Tag gar zu toll und windig – […], so war das Meisterlein so pfiffig, daß es sich unter das Wetter hinsetzte und sich nichts darum schor; es war nicht Ergebung, die das unvermeidliche Übel aufnimmt, nicht Abhärtung, die das ungefühlte trägt, nicht Philosophie, die das verdünnte verdauet, oder Religion, die das belohnte verwindet: sondern der Gedanke ans warme Bett wars. »Abends«, dacht’ er, »lieg’ ich auf alle Fälle, sie mögen mich den ganzen Tag zwicken und hetzen, wie sie wollen, unter meiner warmen Zudeck und drücke die Nase ruhig ans Kopfkissen, acht Stunden lang.« – Und kroch er endlich in der letzten Stunde eines solchen Leidentages unter sein Oberbett: so schüttelte er sich darin, krempte sich mit den Knien bis an den Nabel zusammen und sagte zu sich: »Siehst du, Wutz, es ist doch vorbei.«
Ein anderer Paragraph aus der Wutzischen Kunst, stets fröhlich zu sein, war sein zweiter Pfiff, stets fröhlich aufzuwachen – und um dies zu können, bedient’ er sich eines dritten und hob immer vom Tage vorher etwas angenehmes für den Morgen auf, entweder gebackne Klöße oder ebensoviel äußerst gefährliche Blätter aus dem Robinson, der ihm lieber war als Homer – oder auch junge Vögel oder Pflanzen, an denen er am Morgen nachzusehen hatte, wie Nachts Federn und Blätter gewachsen.
Sämtliche Zitate aus Jean Paul »Leben des vergnügten Schulmeisterlein Maria Wutz in Auenthal«
Diese »Wutz’sche Kunst«! Sich über den ganzen Tag hinweg kleine Vorfreuden zu erschaffen – das ist mittlerweile Peters und meine perfekte Überlebensstrategie. Sie funktioniert wunderbar und kostet nichts. Und wie viele solcher kleinen Vorfreuden man sich basteln kann! Schon die Planung des täglichen Essens ist eine. Oder manchmal kaufe ich mir einfach ein Stück wohlriechende Seife. Ihr Duft beglückt mich sechs Wochen lang – so lange hält ein Stück Seife. Ach Gott, hätte ich diesen »Wutz« schon in der Schule lesen dürfen – ich wäre fürs ganze Leben gerüstet gewesen!
Auf der Heimfahrt fliegen wir noch am Hotel Fantasie vorbei, das einst von Herzog Alexander von Württemberg erbaut und 1866 eröffnet wurde. Richard Wagner soll hier genächtigt haben – derzeit ist es jedoch wieder einmal geschlossen.
Und dann erwische ich im Vorbeifahren mit dem Fotoapparat auch noch das Hauptportal von Schloss Fantaisie.
Zum Abschluss des Tages beglücken wir uns mit einem Besuch beim Becher Bräu.
In der Gaststube sind alle Plätze auf der langen Bank unter den Fenstern besetzt. Wir nehmen am Stirnende Platz und blicken wie auf eine vollbesetzte Tafel. Heute ist es so laut wie noch nie. Das Gebrüll in fränkischen Gasthäusern ist normal – die Franken lieben es, laut zu sprechen. Sobald einer loslegt, müssen die anderen dagegenhalten, um verstanden zu werden. So wird es immer lauter und lauter. Aus der Ferne könnte man meinen, sie streiten.
Es ist Sonntagabend, gegen sechs Uhr. Keiner der anderen Gäste will heute noch etwas essen, also wird nur das gute Bier getrunken. Cortney, die junge Wirtin, hat sie alle im Griff. Wir wissen es schon: heute gibt es Bock! Die »Wutz’sche Vorfreude« darauf hat uns schon durch den ganzen Tag gezogen. Der erste war gleich gezischt. Es folgt ein zweiter – und dazu etwas Warmes zu Essen. Ganz umhüllt sind wir nun von Gemurmel, oder besser gesagt von Gebrüll, gutem Bier, Klößen und Jean Paul. Per Bierdeckelspruch ist er uns hierher nachgewandert und gesellt sich zu uns an den Tisch. Heute mit seinen Worten: »Der Becher (bei Jean Paul heißt es: die Erinnerung) ist das einzige Paradies, aus dem wir nicht vertrieben werden können.«
Die Heimfahrt nach Ronneburg ist ruhig, kaum Verkehr. Peter schnurrt uns ganz entspannt nach Hause.
PS:
Peter: 1 Schäufele und 3 Bock.
Ich: 1 Schweinebraten und 2 Bock.
War es so? Mein Gott, das darf man nicht erzählen.
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Thomas Sticht (Montag, 27 April 2020 19:57)
Leider ist der Weg am Ende des Salamandertals durch ein Privatgrundstück seit kurzem versperrt, es besteht daher nur die Möglichkeit das wunderschöne Geotop zu durchlaufen und umzudrehen, hat dann einen Umweg von 1 km zur Folge
Herbert Pöhlmann (Montag, 14 November 2022 16:13)
Mittlerweile hat die Gemeinde einen Ersatzausgang/Eingang geschaffen, der über einige steile Treppenstufen führt. Es ist geplant, diesen Ein-/Ausgang des Salamandertales weiter zu verbessern. Für normale Wanderer ist das aber auch schon jetzt kein Problem.