2. Das Jean-Paul-Museum in Joditz – sein nunmehr immerwährendes Zuhause

Joditz – Jean-Paul-Museum – sehr schön und sehr informativ!
Joditz – Jean-Paul-Museum – sehr schön und sehr informativ!

Joditz


Inhalte von Google Maps werden aufgrund deiner aktuellen Cookie-Einstellungen nicht angezeigt. Klicke auf die Cookie-Richtlinie (Funktionell), um den Cookie-Richtlinien von Google Maps zuzustimmen und den Inhalt anzusehen. Mehr dazu erfährst du in der Google Maps Datenschutzerklärung.

Den kompletten Verlauf des Jean-Paul-Wegs finden Sie hier: Literaturportal Bayern

Weitere Informationen über Jean Paul und Joditz: Literaturportal Bayern – Dichterwege. Auf den Spuren von Jean Paul

Ankunft in der Ferienwohnung in Vordorf

Montag, 6. August 2012, abends um halb zehn. Wir sind jetzt in unserer Ferien­wohnung in dem kleinen Dorf Vordorf bei Tröstau. Unsere Bleibe liegt unter dem Dach und kostet auch nicht viel. Die Wirtin hier ist so warmherzig. Bei der Begrüßung stand sie da, plauderte oberpfälzisch klingend voller Heiter­keit drauf los, als ob wir zur Familie gehörten. Ich hatte das Gefühl, dass sie Peter gleich über die Wange striche. 

 

Bald stiegen wir Stufe für Stufe die Treppe nach oben – zurück in unsere Kindheit. Im ganzen Haus wurden die 70er Jahre liebevoll konserviert. Alles ist reichlich geschmückt und duftet nach Sauberkeit. Offensichtlich wurde im Laufe der Zeit jedes Geschenk in die Wohnung gestellt oder gehängt, egal ob es hinpasste oder nicht. So, wie man es mit Geschenken halt macht. Überall ist Teppichboden ausgelegt, die Wände mit Nut- und Federbrettern verkleidet, im Bad die Badezimmergarnitur aus Frottee, Plastikblumen, unverwüstliche Bromelien auf den Fensterbänken, bunte Tapeten – das ist Daheim-Gefühl und Ferien. Fehlte nur noch ein großes Puzzle.

 

Die Küche ist neu und ganz klein. Wir kommen gut zurecht. Nichts ist überflüssig. Die Dusche ist jedoch so eng in die Dachschräge eingearbeitet, dass sie mir für den kräftigen Peter doch unbezwingbar erscheint. Wir werden sehen.

Inhalte von Google Maps werden aufgrund deiner aktuellen Cookie-Einstellungen nicht angezeigt. Klicke auf die Cookie-Richtlinie (Funktionell), um den Cookie-Richtlinien von Google Maps zuzustimmen und den Inhalt anzusehen. Mehr dazu erfährst du in der Google Maps Datenschutzerklärung.

Heute greifen wir zum Feierabend noch auf Aldi-Bier zurück. Morgen gibt es etwas Besseres, denn die Schwägerin des Hauses betreibt gleich nebenan einen Flaschenbierhandel. Pudel Fidel hat den Sessel akzeptiert, den wir als den seinigen deklariert und mit der Hunde-Wunderdecke – die rätselhafterweise nie schmutzig wird – ausstaffiert haben. Er knabbert Schweineohr. Das beruhigt ihn, wenn er gestresst ist. So viel haben wir schon von ihm gelernt.

 

Ich sitze auf dem Sofa, bin vom Tage platt. Draußen regnet es. Auf unserem Blechdach prasseln die Tropfen herrlich laut. Blechdächer sieht man hier oft, und wie mir Peter erklärte, sind sie kein Zeichen von Armut, sondern halten besser bei rauem Wetter. Er weiß es – er ist der Sohn eines Dachdeckers.

 

Das nasse Wetter beunruhigt uns gar nicht. Laut Vorhersage wird der Regen morgen aufhören. Zum Wandern könnte es kaum besser sein: trocken, teils heiter, teils wolkig, nicht zu heiß.

 

Peter zappt durchs Fernsehprogramm, aber es kommt nichts. Ich sage ihm, er soll bei »Tine Wittler« bleiben. Ein leich­tes Laber-Programm im Hintergrund ist gut. Aber so leicht ist das auch nicht mehr, muss ich feststellen. Frau Wittler richtet jetzt die Wohnungen ganz armer Menschen ein. Die Fälle werden von Folge zu Folge immer extremer. Dieses Mal vom Plumpsklo zum Luxusbad. So viel Missbrauch von Leid ertrage ich heute nicht. Dann lieber Olympische Spiele in London.

 

Irgendwie habe ich mir den Rücken verrissen. Jeder Atemzug tut weh. Eine Schmerztablette muss helfen. Da – jetzt springt Fidel vom Sessel und läuft zu seinem Napf. Er frisst! Oh Freude! An fremden Orten braucht er manch­mal Tage, bis er wieder richtig frisst. Demnach ist auch er hier zuhause ange­kommen.

 

Jetzt kann ich mich ganz meinen Aufzeichnungen widmen – denn ich möchte vom heutigen Besuch in Joditz erzählen. Das Dorf liegt rund zehn Kilometer nördlich von Hof. Hier verbrachte der Pfarrerssohn Johann Paul Friedrich Richter – so hieß Jean Paul wirklich – einen Teil seiner Kindheit. Und genau deshalb findet sich hier, im alten Pfarrgarten des Pfarrhauses, das wohl »jeanpaulste« aller Jean-Paul-Museen – gegründet und mit Herzblut betrieben von Karin und Eberhard Schmidt. Wer dieses private Refugium besuchen will, muss sich zunächst bei den Schmidts anmelden – und warten, bis eine kleine Gruppe zusammenkommt. Erst dann gibt es einen Termin. Unserer war heute.

Joditz von oben
Joditz von oben

Das Erlebnis »Jean-Paul-Museum« in Joditz

»Wenn Sie ihm sagen, dass Sie Zeit haben, macht er das stundenlang«, verriet uns Karin Schmidt über ihren Ehemann gleich zu Beginn. »Wenn Sie heute noch wandern wollen, dann bremsen Sie ihn!«

 

Wir hatten gar nichts zu bremsen. Für diesen Tag stand ohnehin nur das Museum auf dem Plan – und wie gut, dass es so war. Denn schon nach wenigen Minuten wurde klar, Karin und Eberhard Schmidt betreiben ihr Jean-Paul-Museum nicht einfach, sie leben es. Für sie ist es ein selbstgeschaffener Herzensort, um über Jean Paul zu erzählen. Da hätten sogar wir lieber die Zeit angehalten, um jedem Satz und jeder Geschichte zu lauschen.

 

Doch zunächst hieß es: »Kommen Sie, wir gehen erst einmal hinüber.« So wurden wir über die schmale Dorfstraße gelotst – hin zur evangelisch-lutherischen Kirche St. Johannes, die direkt gegenüberliegt. Dort, vor dem alten Kirchportal, begann die eigentliche Führung. Eberhard Schmidt erklärte uns, dass Jean Paul nicht in Joditz, sondern im etwa fünfzig Kilometer entfernten Städtchen Wunsiedel geboren wurde. Nach Joditz kam er erst im Alter von zwei Jahren, weil sein Vater, durch die Verbindung zur Freifrau von Plotho aus dem Gutsdorf Zedwitz, die Pfarrstelle im Örtchen Joditz erhielt. Und so zog die ganze Familie um. Jean Pauls jüngerer Bruder Adam war bereits geboren. 

 

Joditz ist ein kleines Dorf. Mit seinen 550 Ge­meindemitgliedern ist es eine der kleinsten Kirchengemeinden im Dekanats­bezirk. Jean Pauls Eltern ging es hier besser als in Wunsiedel, denn der Vater war vom Schulmeister zum Pfarrer und Organisten aufgestiegen. Das Dorf an dem Flüss­chen Saale wurde der Familie zur geliebten Heimat. Und für Jean Paul nahm hier alles seinen Anfang.

Jean Paul liebte Joditz

»… die Saale, gleich mir am Fichtelgebirge entsprungen, war mir bis dahin nach­gelaufen …«, rezitiert Eberhard Schmidt, vor der Kirche stehend und mit der Hand auf den Fluss hinter sich deutend. »… Die Saale war das Schönste, wenigstens das Längste von Joditz … so schrieb Jean Paul über den Ort seiner Kindheit in seiner Selberlebensbeschreibung, seine eigene Wortschöpfung für Autobiographie. Für Jean Paul Richter war das Dorf Joditz seine eigentliche, seine geistige Geburtsstadt. Er liebte es inbrünstig«, fährt Schmidt fort, und er erklärt mit Jean Pauls Worten gleich warum: »… Aber im Dorfe liebt man das ganze Dorf und kein Säugling wird da begraben, ohne dass jeder dessen Namen und Krankheit und Trauer weiß; Joditzer haben sich alle ineinander hineingewohnt und hineingewöhnt; – und dieses herrliche Teilnehmen an jedem, der ein Mensch, welches daher sogar auf den Fremden und den Bettler überzieht, brütet eine verdichtete Menschenliebe aus und die rechte Schlagkraft des Herzens. …« Schmidt macht eine kleine Pause, bevor er fortfährt. »Man muss sich auch vorstellen, dass die Pfarrfamilie natürlich an allem Leben im Dorf teilhatte – schon allein durch die Taufen, Hochzeiten und Begräbnisse. Immer wieder rafften Krankheiten Kin­der hinweg. Auch zwei seiner Schwestern musste Jean Paul hier begraben.«

Ach, Augustina in Joditz! …

Wir treten in die Kirche ein. Auch Fidel darf mit. Hier ist das möglich, weil Eberhard Schmidt nicht nur Museumsgründer, sondern gelegentlich auch Hüter des Kirchenschlüssels ist – und weil jemand, der selbst einen Hund hat, versteht, dass die Nähe unserer Tiere manchmal wichtiger sein kann als jede Kirchenordnung.

 

Die kleine Barockkirche ist klar und freundlich, beinahe bescheiden. Wir nehmen auf den hölzernen Bänken Platz, Fidel sitzt ruhig auf meinem Schoß. Unsere Blicke folgen Schmidts Worten, wandern zu den Emporen, über die Orgel hinweg, hinaus durch die schlichten Fenster. Schmidt öffnet die zärtlichste Sommeridylle aus Jean Pauls Kindheit – jene, die den kleinen Jungen am tiefsten prägte. Die Erinnerung an das Bauernmädchen Augustina.

»… Der schönste Sommervogel indes, ein zarter blauer Schmetterling, welcher den Helden in der schönen Jahreszeit umflatterte, war seine erste Liebe. Es war ein blauaugiges Bauernmädchen seines Alters, von schlanker Gestalt, eirundem Gesicht mit einigen Blatternarben, aber mit den tausend Zügen, welche eben wie Zauber­kreise das Herz gefangen nehmen … so beschreibt er es, über sich selbst in der drit­ten Person redend«, erzählt uns Schmidt, immer weiter Jean Paul zitierend: »… dass er in der Kirche von seinem Pfarrstuhle aus sie in ihrem Weiberstuhle ziemlich nahe genug ansah und nicht satt bekam … die langen Fenster den kalten Boden und die Weiberstühle mit breiten Lichtstreifen durchschnitten und … das Sonnenlicht an der Zauberhirtin Augustina herunterfloss. …« 

 

Wir Touristen zerschmelzen, sehen die Szene vor uns – den Jungen, im Chor beim Altar, beglückt und selig, und die Zauberhirtin, ihm so nah. Sein Herz muss geklopft haben. Für Augenblicke ist es still im Gotteshaus. Still genug, dass man zu ahnen glaubt, was heute so schwer zu finden ist – jene Art von heimlicher, wortloser Liebe, die sich mit nichts begnügt außer mit Blicken. 

Museumsleiter Eberhard Schmidt
Museumsleiter Eberhard Schmidt

Der nackte Po ...

Fast wären wir vorbeigelaufen, wenn uns Schmidt nicht darauf aufmerksam gemacht hätte. Denn das Kirchlein hat etwas ganz Besonderes zu bieten: einen ungewöhnlichen Heiland. Hier hängt er nicht wie sonst über dem Altar am Kreuz – er schwebt nackt über der Kanzel. Er ist kein Leidender, sondern der triumphierende Auferstandene, die österliche Siegesfahne in der Hand. Doch das Ungewöhnlichste – Schmidt zeigt es uns – ist, dass, wenn man um die Kanzel herumgeht, auch Jesu nacktes Hinterteil sehen kann. Jesus mit sichtbarem nackten Arsch! Tatsächlich, so etwas haben wir alle noch nie gesehen. Jedem entlockt das entblößte Gesäß ein Lächeln. Genau so soll es auch verstanden werden, meint Eberhard Schmidt. Das Kunstwerk sagt, dass das Leben die Fülle aller Tatsachen ist – auch der nackten. Und außerdem – wer dem Teufel so sein Hinterteil präsentiert, hat ja schon den halben Sieg errungen.

Weiter geht es – am nackten Jesus vorbei, den wir natürlich alle fotografieren, – nach hinten zur Sakristei und wieder hinaus auf die Straße.

Jean Paul sieht sein »Ich«

Und schon stehen wir vor dem alten Pfarrhaus, in dem Jean Paul elf Jahre – von 1765 bis 1776 – mit seiner Familie lebte. Auch hier fesselt uns Eberhard Schmidt mit Geschichten und Zita­ten. Er beginnt mit der blauen Haustür. 

»Hier war es«, fängt Schmidt an, »dass Jean Paul als sehr junges Kind an einem Vormittag unter der Haustür stand, nach links zur Holzlege sah und … auf einmal das innere Gesicht ›ich bin ein Ich‹ wie ein Blitzstrahl vor ihn fuhr und seitdem leuchtend stehen blieb: Da hatte mein Ich zum ersten Male sich selber gesehen und auf ewig. … Wie konnte er dieses »Ich« so klar benennen? Jean Paul beschreibt es selbst als … Erscheinung in mir, wo ich bei der Geburt meines Selbstbewusstseins stand, von der ich Ort und Zeit anzugeben weiß. …«

 

Dort, vor der blauen Tür, stand also Jean Paul vor über zweihundert Jahren – und wurde sich seiner selbst bewusst. Heute steht dort ein Paar Stiefel, und ein schwarzer Hund döst ruhig auf der Schwelle. Wir Museumsbesucher sind jedoch im Geiste bei dem jungen Jean Paul und blicken wie er – jetzt alle gleichzeitig – nach links, dorthin, wo einst die Holzlege gestanden haben könnte. 

Die Tür des heute noch bewohnten Pfarrhauses in Joditz, in dem Jean Paul seine Kindheit verbrachte
Die Tür des heute noch bewohnten Pfarrhauses in Joditz, in dem Jean Paul seine Kindheit verbrachte

Das Pfarrhaus ist umgeben von einer halbhohen Steinmauer. Sie muss schon zu Jean Pauls Zeit existiert haben. Schmidt erzählt nun die Geschichte von Jean Paul und seiner Augustina weiter: »… – denn wenn sie abends ihre Weidekühe nach Hause trieb, die er am unver­gesslichen Glockengeläute erkannte, so kletterte er auf die Hofmauer, um sie zu sehen und heranzuwinken und dann wieder herab an den Torweg, um durch eine Spalte die Hand hinauszubringen … und ihr etwas Essbares, Zuckermandeln oder sonst etwas Köstliches, das er aus der Stadt gebracht, in die Hand zu geben. … Fritz und Augustina wurden nie ein Paar, aber ein Leben lang wird jedes Läuten einer Kuhglocke ihn an das Mädchen erinnern … und noch würde sein altes Herzblut wogen und wallen, wenn diese Klänge ihm wieder begegneten; …«

 

Das ist, warum der Mensch Johann Paul Friedrich Richter mich tief berührt.

Gasthof Krauß gegenüber des Jean-Paul-Museums in Joditz
Gasthof Krauß gegenüber des Jean-Paul-Museums in Joditz

Im Museum wohnt Jean Paul heute noch

Es geht zurück über die Straße, wieder an der Kirche vorbei, dann über den Platz zum Fachwerkhaus mit den rot gestrichenen Balken. Das ist das Wohn­haus der Schmidts. Der angrenzende Garten ist der ehemalige Pfarrgarten zum Pfarrhaus. Im Pfarrgarten stand ein Gartenhäuschen. Hier schrieb Jean Pauls Vater einst seine Sonntagspredigten, während die Kinder im Gras lagen und Grammatiklektionen lernten. Das Gartenhaus wurde später abgerissen, an seiner Stelle ein Weberhaus errichtet. In dessen Obergeschoss befindet sich heute das Museum. Es ist eine Art heiliger Gral, und die Schmidts sind seine Gralshüter. Sie aber hüten kein Geheimnis – sie lassen jeden Be­sucher an all ihrem Wissen und ihrer Leidenschaft teilhaben. So wundert es uns auch nicht, dass hier eine sehr authentisch wirkende, lebensgroße Puppe, die Jean Paul ähnlich sehen soll, auf einem schwarzen Kanapee sitzt. Fidel springt sofort auf das Sofa, direkt neben Jean Paul, als gäbe es nichts Selbstverständlicheres. Ich will ihn schnell wieder vertreiben. Um Gottes willen! denke ich. Wenn das einer sieht! Aber das scheint den Museumsleiter nicht zu interessieren – und Jean Paul schon gar nicht. Wie wir jetzt erfahren, hatte dieser selbst einen Pudel.

 

Sonst ist alles wie in einer Dichterstube. Tisch, Tintenfass und Federkiele. Die vielen Regale sind nicht nur mit Büchern gefüllt, sondern auch mit Jean-Paul-Sammlerstücken – wie Tabakdosen, bedruckten Servietten, Speisekarten und Bierdeckeln.

Die Schätze des Eberhard Schmidt

Dann brennt Schmidt wieder ein Feuerwerk von Zitaten ab. Ich konnte sie mir gar nicht alle merken. Eines doch schon, das zeigt, wie viel Humor, Witz und Schalk in Jean Paul steckte. In seinem »Schulmeisterlein Wutz« be­schreibt er eine Hochzeitsfeier im Dorf, bei der auch Kammermusik gespielt wurde. Hierbei waren die Pausen, die die Musiker machten, sehr lang, denn sie speisten mehr, als sie musizierten. Was Jean Paul so kommentierte: … Der Violencellist und der Violinist streichen fremdes Gedärm weniger, als sie eigenes füllen – …

 

Wie er sich denn die sprachreichen Texte von Jean Paul so gut merken kön­ne, will ich von Schmidt wissen. Er gibt zur Antwort, dass er ja täglich mit seinem Hund laufen müsse und dabei die Gelegenheit nutze, sich ständig im Auswendiglernen zu üben.

»Das tut richtig gut«, fügt er noch hinzu.

 

Im Museum sind Schmidts kostbarste Stücke ausgestellt: nahezu alle Erstausgaben des Dichters und vieler seiner Zeitgenossen. Die Handbibliothek enthält über 700 Titel mit weit über tausend Bänden. Den berühmtesten Roman, »Hesperus«, zeigt er uns in einer japanischen Ausgabe. Muss man sich mal vorstellen!

 

Das Museum selbst hat sogar zwei Bücher herausgegeben. Das erste trägt den Titel »Traumwelten. Träume – Visionen – Naturmalereien. Mit einem Textauszug aus ›Hesperus‹ von Albert Béguin.« Das zweite, »Jean Paul und Italien«, ist eine Reise-Biographie von Dieter Richter. In beiden Büchern findet sich eine Auswahl der schönsten Jean-Paul-Texte. Sie lassen erahnen, in welch fantastischer Gedankenwelt der Dichter wandelte – und mit welch bildhafter Sprache er sie lebendig werden ließ. Ich sehe großartige Bilder, Bilder, die sogar wie von Musik unterlegt scheinen. Reinstes Breitwandkino – sagt mein Filmherz. 

Über Jean Pauls klingende Sprache

»Jean Paul hält man für den musikalischsten Dichter«, erklärt Schmidt. »Seine Sprache ist Musik. Komposition. Wie soll man das erklären? Das geht eigentlich nicht. Aber man weiß es, wenn man ihn liest. Töne bedeuteten ihm alles. Man muss sich erinnern: Sein Vater war Organist und Komponist. Es stand immer ein Klavier im Haus, aber Jean Paul hat nie gelernt, ein Instrument zu spielen. In seiner Selberlebensbeschreibung trauert er dem Verlust einer musikalischen Ausbildung nach, wenn er schreibt, … Der Tonkunst war meine Seele (vielleicht der väterlichen ähnlich) überall aufgetan … und weiter … Stunden widmete ich auf einem alten verstimmten Klaviere, dessen Stimmhammer und Stimmmeister nur das Wetter war, dem Abtrommeln meiner Fantasien, welche gewiss freier waren als irgend kühne in ganz Europa, schon darum, weil ich keine Note kannte und keinen Griff und gar nichts, denn ein so klavierfertiger Vater wies mir keine Taste und keine Note. …« Schmidt macht eine Pause. »Er kompensierte später alles in seiner Sprache. Aber vielleicht ist es gerade dieser Zauber, der sein Werk zu Weltliteratur machte.«

 

Das erste Buch, das ich sofort aufsaugen konnte, war eben jene »Selber­lebensbeschreibung«, die Jean Paul erst am Ende seines Lebens schrieb – nur weil andere ihn dazu drängten. Sie ist, wie viele seiner anderen Werke, nicht fertig gewor­den. Sie blieb Fragment (was in der Romantik übrigens nicht ungewöhnlich war). Nach seiner dritten Lebensstation in Schwarzenbach a. d. Saale bricht sie ab. Das längste Kapitel aber trägt den Titel »Joditz – Dorfidyllen«. Ein kleines, armes Dorf, fern der Welt. Ein Garten, eine Stube, Schneewege, Sommer und Frühling, das Füllhorn des Herbstes, Zugvögel, Haselnussgebüsche, Sonntagsvesper und Armutskerker. Der kleine Jean Paul sehnte sich so sehr nach Welt und Erfüllung. Wie konnte nur jemand aus so wenig Leben so viel Reichtum schöpfen? Nein – hineinschaffen! Ich bin sprachlos.

Jean Paul spricht die Sprache der Frauen

Die Frauen lagen Jean Paul zu Füßen, erwähnt Schmidt noch. Warum, will ich wissen. Jean Paul habe sich auf Gefühle besonders gut verstanden – und das liege den Frauen eben, antwortet Schmidt. Außerdem sei Jean Paul mit 30 Jahren bereits ein berühmter Dichter gewesen. Auch das habe die Damenwelt angezogen. Das Sonderbare aber sei, dass Frauen ihn sehr gut lesen und verstehen konnten. Während seine Schriftstellerkollegen – fast boshaft – immer wieder verbreiteten, Jean Paul quäle und misshandele seine Leser. Er sei so überanspruchsvoll, das ja nur Gelehrte ihn verstehen könnten.

Eberhard Schmidt ist Jean Paul

Der Besuch bei den Schmidts, bei denen Jean Paul ja eigentlich wohnt – oder sie bei ihm –, ist der beste Auftakt dieser Wanderung. Die Erschaffung des Jean-Paul-Wanderweges war eben auch die Idee des Ehepaares. Von ihnen wird nun unser Rucksack mit genügend Proviant gefüllt, damit wir die kommenden Tafeln, die uns begleiten werden, besser verstehen können.

 

Nach mehr als zwei Stunden sind wir übervoll mit so viel Jean Paul. Nicht genug könnte man bekommen, aber irgendwann muss man innehalten. Ein zweiter Besuch würde sich lohnen. Und wie wir hören, wären wir damit nicht die Ersten. Ein Blick ins Gästebuch offenbart die Beliebtheit des Museums – auch Andreas Voßkuhle, ehemaliger Präsident des Bundesverfassungsgerichts, war schon mehrfach zu Gast.

 

Warum er das alles mache, will ich noch von Eberhard Schmidt wissen. Er erzählt, er sei vor seiner Rente Buchhändler in Hof gewesen und habe damals einen Werbespruch für seinen Laden gesucht. Da sei er auf Jean Paul gestoßen: »… Lesen heißt wandern gehen in ferne Welten, aus den Stuben über Sterne. …« Von da an habe Jean Paul ihn nie wieder losgelassen. 

Eberhard Schmidt weilt nicht mehr unter uns

Nachtrag vom 3. Juli 2016.

Eberhard Schmidt verstarb am 26. Januar 2016.

 

Durch ihn durften wir mit Jean Paul in jenen fernen Welten wandern, die wir sonst nie erlebt hätten.

Todesanzeige Eberhard Schmidt

Trauerrede für Eberhard Schmidt, am 01.02.2016 gehalten von Peter Nürmberger, Stadt Hof Fachbereichsleiter Kultur

 

 

PS: Nach dem Tod von Eberhard Schmidt blieb das Jean-Paul-Museum in Joditz lange verwaist. Doch nun, fast zehn Jahre später, steht fest: Ab 2026 wird es ein neues Jean-Paul-Museum geben – im Joditzer Pfarrhaus, wo Jean Paul seine Kindheit verbrachte. Eine wunderbare Nachricht!

 

 

… Niemand übrigens wundere sich über ein Idyllenreich und Schäferweltchen in einem kleinen Dörfchen und Pfarrhaus. …

Jean Paul »Selberlebensbeschreibung«

Der Jean-Paul-Weblog ist werbefrei und soll es auch bleiben. Der Betrieb ist jedoch mit Aufwand und Kosten verbunden. Deshalb würde ich mich sehr über Ihre Spende freuen. Sei sie auch noch so klein. Sie dient ausschließlich dem zukünftigen Erhalt der Webseite. Und Jean Paul kann weiterhin alle begleiten, die auf seinen Wegen wandern. Herzlichsten Dank.

Kommentar schreiben

Kommentare: 0